Die Ernährung der Schnecken II

Fleisch fressende Landschnecken

Teil I: Grundlagen, pflanzenfressende und aasfressende Landschnecken Teil II: Fleisch fressende Landschnecken Teil III: Meeresschnecken


Rötliche Daudebardie (Daudebardia rufa), eine Raubschnecke,
die u. a. Regenwürmer frisst. Quelle:  biolib.cz (Jiří Novák).
 
Neben aasfressenden Schnecken gibt es, wie schon erwähnt, auch Schnecken, die sich fast ausschließlich von anderen Tieren ernähren. Die einheimischen fleischfressenden Schneckenarten fressen vorwiegend Regenwürmer, Insektenlarven und andere Schnecken, bzw. deren Gelege. Da der Regenwurm deutlich länger ist, als die Schnecke, wird er oftmals an einem Ende bereits verdaut, während das andere Ende noch heraus schaut.

  Selenochlamys ysbryda: Radula und Radulazahn
Radula und einzelner Radulazahn von Selenochlamys ysbryda.
EM-Bild: National Museum Wales (Quelle). ( Vergrößern).

Raubschnecken sind etwa die Daudebardien und Testacellen, wegen ihrer vorwiegend unterirdischen Lebensweise außer in Fachkreisen fast unbekannt. In Großbritannien wurde eine andere Art sogar erst unlängst entdeckt und gehört zudem zu einer Gruppe, die sonst in Europa nicht vertreten ist, den Trigonochlamydidae:

Walisische Geisterschnecke (Selenochlamys ysbryda).

Besonders spektakulär sind bei diesen Schneckenarten die sichelförmigen Radula-Zähnchen, die es ihnen erleichtern, ihre Beute zu packen und zu verschlingen.

Während die zuvor genannten einheimischen Raubschnecken so genannte Halbnacktschnecken sind - ihr Gehäuse ist zugunsten besserer Beweglichkeit stark reduziert und zu einem muschelähnlichen Rest auf dem hinteren Rücken des Tieres verkümmert - gibt es auch viele Nacktschnecken, die andere Schnecken fressen. Zu diesen gehört zum Beispiel der Tigerschnegel (Limax maximus) und der Wurmschnegel (Boettgerilla pallens), der zu einer verwandten Familie gehört.

Aber auch unter den einheimischen Gehäuseschnecken findet man zahlreiche räuberische Arten: Viele Glanzschnecken (Aegopinella und Oxychilus), aber auch die Glasschnecken (Vitrinidae). Letztere haben eine besonders interessante Jagdmethode: Sie sind gegen Kälte weniger empfindlich als andere Landschnecken, also brauchen sie nur abzuwarten, bis diese in Kältestarre verfallen, um sie ohne Gegenwehr fressen zu können. Zum Glück werden Glasschnecken nur wenige Zentimeter groß.

Poiretia dilatata frisst Pomatias elegans
Sizilianische Raubschnecke (Poiretia dilatata)
mit einem erbeuteten Pomatias elegans.
 
Der Ätzschaden einer Poiretia
an einem Pomatias elegans.

Bilder: Fabio Liberto.
 

Eine andere interessante Jagdmethode hat die Dalmatinische Raubschnecke (Poiretia cornea), die an der Adriaküste von Monfalcone bei Triest bis in südliche Albanien vorkommt. Ein weiterer Verwandter ist die Sizilianische Raubschnecke (Poiretia dilatata).

Die bevorzugte Beute dieser Raubschnecken sind Landdeckelschnecken der Gattung Pomatias. Aufgrund des Schalendeckels dieser Schnecken kann die Raubschnecke nicht einfach durch die Mündung ins Innere der Schale eindringen, um ihre Beute zu fressen. Statt dessen hat sie eine Säuredrüse im Fuß entwickelt, mit deren Sekret sie die Schalenwand der Beute auflöst, um diese anschließend ohne eine mögliche Gegenwehr fressen zu können.

 
Rosige Wolfsschnecke (Euglandina rosea), junges Exemplar.
Bild: Bill Frank, Jacksonville Shell Club.
   
 
Dromedar-Springschnecke (Hemphillia dromedarius, rechts) und
Lanzenzahn-Raubschnecke (Haplotrema vancouverense, links).
Bild: Kristiina Ovaska (Quelle).

Forum Natura Mediterraneo: La Predazione di Poiretia.
Walter Pfliegler: Youtube-Video von Poiretia cornea aus Kroatien.

Systematisch gesehen gehört Poiretia zur Familie Oleacinidae, einer ausschließlich räuberisch lebenden Landschneckenfamilie, die vorwiegend neotropisch, also in Südamerika (vgl. Faunenprovinzen) vorkommt. Taxonomisch bildet die Familie zusammen mit den oben bereits genannten Testacellidae eine gemeinsame Überfamilie, die Testacelloidea.

Trotz ihres blumigen Namens ist ein weiteres Mitglied der Familie, die Rosige Wolfsschnecke (Euglandina rosea), kein freundlicher Zeitgenosse:

Ihre Lippen sind fühlerartig verlängert, so dass sie ihre Beute - andere kleinere Landschnecken - entlang deren Schleimspur verfolgen kann. Dabei macht Euglandina auch vor Wasserläufen nicht halt und verfolgt die Beute selbst auf Bäume. Größere Schnecken werden stückweise gefressen, kleinere im Ganzen, mitsamt ihrer Schale. Schon die Jungtiere fressen ihre schwächeren Geschwister und gewinnen so selbst an Stärke.

Auf den Inseln Französisch Polynesiens wurde die dort nicht ursprünglich heimische Wolfsschnecke vom Menschen eingeführt, um der durch die ebenfalls nicht ursprünglich heimischen großen Achatschnecken entstehenden Plage Herr zu werden.

Die Wolfsschnecke jedoch neigt eher dazu, kleine Baumschnecken zu verfolgen, als sich mit den riesigen Achatschnecken zu befassen - in der Folge sind zahlreiche Arten der kleinen, nur auf bestimmten Pazifikinseln vorkommenden Baumschneckenarten (zum Beispiel der Gattung Partula) heute ausgestorben.

Natalina cafra  Natalina cafra frisst Archachatina marginata
Bild links: Natalina cafra. Quelle: Herbert, Moussalli (2010). Bild rechts: Natalina cafra frisst Archachatina marginata. Bild: P. Vos (Quelle).
   

Eine weitere außereuropäische Raubschneckenart ist die Lanzenzahn-Raubschnecke (Haplotrema vancouverense). Diese im Nordwesten der USA und im kanadischen British Columbia vorkommende Art stellt vor allem kleineren Nacktschneckenarten nach. Manche davon haben eine interessante Fluchtmethode entwickelt: Sie entziehen sich dem Beutegreifer durch wildes Winden und Springen, so dass sie schließlich vom Baumstamm fallen. Auf Englisch nennt man sie daher "jumping slugs" oder Springschnecken.

Springschnecken (Hemphillia).
Mollus.ca: Haplotrema (Ancomena) vancouverense (I. Lea, 1839) - Robust Lancetooth.

Aus Ost- und Südostafrika ist andererseits Natalina cafra (Familie Rhytididae) bekannt. Bei dieser kann man gut erkennen, wie lang der Vorderkörper ist, so dass die Schnecke gut weit in die Mündung ihrer Beute hineinreichen kann, um sie zu fressen. Zudem ist die Endwindung des Gehäuses recht weit, so dass die Schnecke kleinere Schnecken auch ganz fressen kann. Im Gegensatz zur Wolfsschnecke (Euglandina rosea) hat Natalina cafra, auch als Gemeine Kannibalenschnecke bekannt, nachdem sie auch Artgenossen angreift, keine Probleme damit, auch die großen afrikanischen Achatschneckenarten anzugreifen. Fairerweise muss man hinzufügen, dass Natalina cafra deutlich größer wird, als die schlank gebaute Wolfsschnecke, das Gehäuse allein erreicht eine Breite von bis zu 75 mm und eine Höhe von 50 mm.

In Neuseeland gibt es andere Schnecken aus der Familie Rhytididae: Die sehr großen Powelliphanta-Schnecken sind nachtaktiv und jagen Regenwürmer und Nacktschnecken, die sie mit der Radula packen und dann in den Mund ziehen. Andererseits sind die Powelliphanta-Schnecken in Neuseeland vielfach auch bedroht, weil andere Tiere wiederum Jagd auf sie machen, vor allem eingeschleppte Beuteltiere und Säugetiere. Zusätzlichen Schaden richtet die Zerstörung der Lebensräume dieser Schnecken, auch wiederum durch Schäden von eingeschleppten Säugetieren an.

  Jonathan Wojcik: Ghastly Gastropoda: Top Ten Predatory Slugs and Snails.
  Herbert, D., Moussalli, A. (2010): Revision of the larger cannibal snails (Natalina s. l.) of southern Africa — Natalina s. s., Afrorhytida and Capitina (Mollusca: Gastropoda: Rhytididae). African Invertebrates Vol. 51 (1), pp. 1–132. (Link, abgerufen 09.09.2022).
  Wikipedia: Powelliphanta.
  BBC Earth: Seltene Riesenschnecke labt sich an Regenwurm. YouTube-Video.
  Herbert, D., Kilburn, D.: Field Guide to the Land Snails and Slugs of Eastern South Africa. Natal Museum, Pietermaritzburg 2004.
  Wikipedia: Natalina cafra

Weiterführende Literatur

Barker, G.M.; Efford, M.G.: Predatory Gastropods as Natural Enemies of Terrestrial Gastropods and Other Invertebrates. In: Barker, G.B. (Ed.) (2004): Natural Enemies of Terrestrial Molluscs. CABI Publishing; p. 279 ff.