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Die Windungsrichtung der Schneckenschale


Rechts ist nicht gleich Links: Schnecken kann man nicht ohne
weiteres spiegeln, denn ihre Schale ist asymmetrisch.
Bild: Robert Nordsieck.
 

In der Natur gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Rechts nicht immer gleich Links ist, wie zum Beispiel die Chiralität des in Form eines Tetraeders angelegten Kohlenstoffatoms. Die Schale der Schnecken ist ein anderes Beispiel für diesen grundlegenden Unterschied.

Grundsätzlich ist eine Schale, wie sie die Schnecken tragen, allen höheren Weichtieren gemeinsam: (vgl. Die Evolution der Weichtierschale). Als solches ist die Schale der Schnecken nichts Besonderes. Was sie jedoch zur Besonderheit macht, ist die Tatsache, dass sie Schneckenschale asymmetrisch ist. Vergleicht man sie mit der symmetrischen Schale eines Nautilus, die von rechts und von links gleich aussieht, erkennt man, dass die Schale einer Schnecke auf einer Seite zu einer deutlich erkennbaren Schalenspitze - den so genannten Apex - ansteigt.

Ob die Schale einer Schnecke jedoch rechts oder links gewunden ist, hängt nämlich von mehreren Faktoren ab.

 
Die Schale einer Riemenschnecke (Helicodonta obvoluta) steigt zwar nicht
so deutlich an, wie andere Schneckenschalen, Ober- und Unterseite sind
aber dennoch deutlich zu erkennen. Bild: Helmut Nisters.

Selbst die Schale etwa einer Riemenschnecke (Helicodonta obvoluta) lässt, obwohl sie nicht erkennbar ansteigt, deutlich Ober- und Unterseite erkennen. Daher gibt es keine Symmetrieebene, an der man zwei Hälften dieser Schale spiegeln könnte. Folglich kann man auch das Bild einer Schnecke nicht ohne weiteres spiegeln, ohne etwas völlig anderes darzustellen.

In der Familie Helicodontidae gibt es noch eine schwierigere Art: Die Sichelmundschnecke (Drepanostoma nautiliforme) scheint auf der Ober- und der Unterseite der Schale einen Nabel zu haben. Dennoch ist die Schnecke selbst asymmetrisch - die Geschlechtsöffnung beispielsweise befindet sich nach, wie vor, auf der rechten Körperseite.

Wie ermittelt man die Windungsrichtung einer Schneckenschale?

Die Windungsrichtung der Schale ist für eine bestimmte Landschneckenart grundsätzlich artspezifisch, so dass sie auch als Bestimmungsmerkmal genutzt werden kann. Oftmals sind sogar ganze Landschneckenfamilien in dieser Hinsicht festgelegt, wie zum Beispiel die Schnirkelschnecken (Helicidae), zu denen die größte mitteleuropäische Landgehäuseschnecke, die Weinbergschnecke (Helix pomatia), gehört. Schnirkelschnecken sind, wie die meisten Schnecken, rechts gewunden.

         
Von links nach rechts: Jaminia quadridens (links gewunden),
Zebrina detrita (rechts gewunden), Cochlodina laminata und
Macrogastra ventricosa, beide links gewunden. Vgl. Text!
Bilder: Helmut Nisters.
 

In anderen, im Regelfall rechts gewundenen, Schneckengruppen kommen hingegen einzelne links gewundene Arten vor, für die wiederum die Windungsrichtung nach links artspezifisch ist. Zu den Vielfraßschnecken (Enidae) mit ihrem charakteristisch bauchigen, hoch gewundenen Gehäuse gehört so z.B. die große Zebraschnecke (Zebrina detrita) gehört, die in Deutschland in der mediterran anmutenden Region um den Kaiserstuhl in der oberrheinischen Tiefebene vorkommt. Zebrina detrita ist rechts gewunden. Die vierzähnige Vielfraßschnecke (Jaminia quadridens) hingegen ist links gewunden und steht damit im Gegensatz zum familientypischen Regelfall.

Die einzige Landschneckenfamilie, die insgesamt typischerweise links gewunden ist, sind die Schließmundschnecken (Clausiliidae). Diese kleinen baum- und felsenbewohnenden Schnecken besitzen ein spindelförmiges Gehäuse, mit dem sie sich leicht in Ritzen vor der Trockenheit verstecken können und kommen mit einem besonderen Artenreichtum auf der Balkanhalbinsel und in Griechenland vor, sind sonst jedoch paläarktisch verbreitet (vgl. tiergeographische Faunenprovinzen). Auch in Mitteleuropa gibt es jedoch zahlreiche Schließmundschneckenarten, wie z.B. die glatte Schließmundschnecke (Cochlodina laminata) oder die bauchige Schließmundschnecke (Macrogastra ventricosa). Im Gegensatz zu diesen beiden links gewundenen Arten steht die vorwiegend in Rumänien vorkommenden Gattung Alopia, die mit einigen Ausnahmen rechts gewunden ist und manche ebenfalls rechts gewundene Arten der Gattungsgruppe Albinaria auf der Halbinsel Peloponnes in Griechenland.

Hartmut Nordsieck: Dextral Clausiliidae (Gastropoda, Stylommatophora), an evolutionary problem (hnords.de, im Druck).

 
Amphidromus-Arten aus Thailand. (Quelle).
Der Strich bezeichnet 10 mm.

Andererseits kommen bei einigen wenigen Schneckengruppen rechts und links gewundene Exemplare etwa zu gleichen Teilen vor. So sind in der Gattung Amphidromus (Familie Camaenidae) ein großer Teil der Arten links gewunden (z.B. Amphidromus floresianus von Flores, Indonesien) und nur einige Ausnahmen sind rechts gewunden (z.B. Amphidromus kruehni von der indonesischen Insel Sumba): Eine andere Art wurde sogar Amphidromus inversus genannt, weil sie, anders als die meisten Amphidromus-Arten, rechts gewunden ist. Das eigentlich Besondere ist aber die so genannte Amphidromie mancher Amphidromus-Arten, die zum Namen der Gattung geführt hat: So ist zum Beispiel Amphidromus butoti von Java zu etwa gleichen Teilen links und rechts gewunden.

Amphidromus sind Baumschnecken, vergleichbar etwa einer Partula-Schnecke, sind allerdings größer (zwischen 25 und 75 mm) und gehören zu einer anderen Familie (Camaenidae). Amphidromus kommen von Ostindien über Südostasien bis nach Nordaustralien vor. Durch den hohen Anteil an Inselpopulationen gibt es relativ viele Arten.

Links gewundene Weinbergschnecke
Schneckenkönig (Helix pomatia). Vergrößern!
Mit rechtsgewundener Schnecke als Beweis: Vergrößern!
Bilder: Robert Nordsieck.
 
Ein anderes, äußerst seltenes Phänomen ist besonders bei Weinbergschnecken (Helix pomatia) sehr gut dokumentiert. Unter mehreren tausend arttypisch rechts gewundenen Exemplaren findet sich dort manchmal ein einzelnes links gewundenes Exemplar. Solche überaus seltenen links gewundenen Exemplare bezeichnet man im Volksmund als Schneckenkönig.

Schneckenkönige - Links gewundene Weinbergschnecken.

Links gewundene Exemplare normalerweise rechts gewundener Schneckenarten kommen natürlich nicht nur bei der Weinbergschnecke vor. Seit seit der Renaissance haben solche links gewundenen Schneckenschalen als "conchylia sinistralia" ihren Weg in die Naturalienkabinette gefunden und sind auch heute noch in den daraus hervor gegangenen Schausammlungen naturhistorischer Museen zu sehen. Auch zahlreiche moderne Schalensammler erfreuen sich an der Besonderheit dieser ungewöhnlichen Schalen (s. u.).

Weiterführende Informationen

Benecke, M. (1994): Von Schneckenkönigen, ungehörnten Würmern und schmatzenden Fischen. Zur Systematik des Conchylienreiches. Club Conchylia 26(2):11-15.

Links gewundene Schneckenschalen in Sammlungen

Carl Ruscoe (British Shell Collectors Club): An Insight Into Collecting Sinistral Shells (Abgerufen 22.08.2022).
Harry G. Lee (Jacksonville Shell Club): Reverse coiled Gastropods (Abgerufen 22.08.2022).

Eine japanische Studie so genannter Satsuma-Schnecken (Satsuma sp, Familie Camaenidae) hat ergeben, dass links gewundene Exemplare in der Natur einem geringeren Selektionsdruck durch Schneckennattern (Pareas iwasakii) unterliegen. Diese Schlangenart hat sich so gut an die Schneckenjagd angepasst, dass sie rechts mehrere zusätzliche Zähne haben, um die Schnecken besser packen können. Dies gelingt bei links gewundenen Schnecken nicht so gut. Daher ist der Anteil links gewundener Schnecken in Gebieten, in denen Schneckennattern vorkommen, entsprechend größer.

Hierzulande gibt es allerdings keine Schneckennattern und der Selektionsdruck durch Fressfeinde dürfte bei Schneckenkönigen und bei herkömmlich rechts gewundenen Weinbergschnecken vergleichbar sein. Dies erklärt auch zusätzlich die große Seltenheit der Schneckenkönige - es fehlt der Selektionsvorteil, der die Nachteile bei der Paarung ausgleichen würde.

Weiterführende Informationen: