This page in English! | ![]() |
SchneckenkönigeLinks gewundene Weinbergschnecken |
![]() Linke Fuchs-Schließmundschnecke (Alopia straminicollis) und Rechte Fuchs- Schließmundschnecke (Alopia livida) aus dem Velikan-Tal (Bucegi, Rumä- nien). Bild: Sigrid Hof (Quelle: hnords.de). |
Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn Exemplare einer üblicherweise rechts gewundenen Art, etwa der Weinbergschnecke (Helix pomatia) links gewunden sind. Dieses äußerst seltene Phänomen tritt nur bei einer von mehreren tausend (bis zu 40.000: Davison et al, 2020) Schnecken auf. Im wohl bekannten Fall der Weinbergschnecke spricht der Volksmund dann von einem Schneckenkönig.
Benecke,
M. (1994): Von Schneckenkönigen, ungehörnten Würmern und schmatzenden Fischen.
Zur Systematik des Conchylienreiches. Club Conchylia 26(2): 11-15.
![]() Ein Bild mit Seltenheitswert: Ein Schneckenkönig (rechts) bei der Paarung mit einer normal gewundenen Weinbergschnecke. Bild: Peter Leonhardt (Felix-Helix-Projekt). |
In freier Natur sind lebende Schneckenkönige kaum je anzutreffen. Solche Funde finden im Allgemeinen Erwähnung in den Tagesmedien:
Seltener Fund - Der
Brunner Schneckenkönig (MeinBezirk.at,
Abgerufen 21.08.2022).
Rarität: Auch Schnecken haben Könige (DiePresse.com,
Abgerufen 21.08.2022).
Nur einem unglaublichen Zufall ist es da zu verdanken, wenn, wie im Fall von Karin und Peter Leonhardt, jemandem schon zum zweiten Mal ein lebendiger Schneckenkönig in die Hände fällt. Die näheren Umstände können der Homepage von Karin und Peter Leonhardt entnommen werden.
Karin und Peter Leonhardt: Felix-Helix-Projekt
(Abgerufen 21.08.2022). Lahnkönig,
Moselkönig.
![]() Schneckenkönig der Weinbergschnecke (Helix pomatia). Bild: Robert Nordsieck. ![]() Im Vergleich mit rechts gewundener Helix lucorum als Beweis. ![]() |
Dass im Gegensatz dazu in der Natur kaum Schneckenkönige vorkommen, ist nicht verwunderlich. Zum einen sind sie schon grundsätzlich sehr selten, hinzu kommt aber auch noch, dass Schnecken als Jungtiere einem ganz erheblichen Beutedruck unterliegen, nur ein geringer Teil der Jungschnecken schafft es also bis ins fortpflanzungsfähige Alter.
Die genetischen Grundlagen, wie es zur Ausbildung einer bestimmten Windungsrichtung bei Schnecken kommt, war lange Zeit nicht gut dokumentiert, zumal das Verständnis der chemischen Grundlagen genetischer Information bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nur bruchstückhaft vorhanden war.
Geht man mit den Prinzipien der Mendel'schen Genetik davon aus, dass der Vererbung der Windungsrichtung der Schneckenschale ein dominant rezessiver Erbgang zugrunde liegt, würde das bedeuten, dass das Merkmal "links gewunden" eben das rezessive Merkmal ist, das bei Mischerbigkeit vom dominanten Wildtyp-Merkmal (man spricht von Allelen) unterdrückt wird. Dennoch kann nach der Paarung zweier rechts gewundener Weinbergschnecken vorkommen, dass der Nachwuchs einer der beiden Schnecken ausschließlich links gewunden ist. Dieser Sachverhalt ist mit einem dominant-rezessiven Erbgang nicht zu erklären.
![]() Alfred H. Sturtevant (1891 - 1970). Quelle: Prabook. |
Sturtevant, A.H.
(1923): Inheritance of direction of coiling in Limnaea. Science 58, 269-270. (Link).
In welcher Richtung die Schale einer Schnecke schließlich gewunden sei, hänge
aber davon ab, wie die Zellteilungsspindel ( Diagramm)
in der befruchteten Eizelle angeordnet sei. Die genetischen Grundlagen der
Entstehung und Anordnung der Mitosespindel würden aber vom Genom des Muttertiers
(im Falle der zwittrigen Weinbergschnecken also die Schnecke, von der die
Eizelle stammt) festgelegt, und nicht vom Genom des entstehenden Embryos.
Von Bedeutung für die Vererbung der Windungsrichtung bei Schnecken sei dann also das Genom des Muttertiers und nicht der Schnecke selbst – man spricht von einem Maternaleffekt oder von matrokliner Vererbung. So erkläre sich auch, wie eine rechts gewundene Schnecke links gewundene Nachkommen haben könne: Während sie äußerlich rechts gewunden sei, müsse sie dennoch reinerbiger Träger des Merkmals "links gewunden" sein, was zu links gewundenen Nachkommen führt.
Die Genetik der Schalenwindung:
Erbgang mit Kreuzungsschema.
Literatur zu den genetischen Grundlagen
Bresch, C.; Hausmann,
R.: Klassische und molekulare Genetik, 3. Ed., Springer Verlag Berlin, 1972.
Literatur über Alfred Henry Sturtevant
Sturtevant, A.
(1923). Inheritance of direction of coiling in
Limnaea.
Science 58: 269-270.
Sturtevant, A. H.; Lewis, E. B.: "A
History of Genetics" (2001).
![]() Schneckenkönig "Jeremy" (oben). Bild: Angus Davison. Quelle: Wikipedia. |
Davison, A. et al.
(2016):
Formin Is Associated with Left-Right Asymmetry in the Pond Snail and the Frog.
Current Biology 26/7.
Nachdem dann in Südwest-London eine seltene links gewundene Gefleckte Weinbergschnecke (Cornu aspersum) (englisch [common] garden snail) gefunden wurde und den Namen Jeremy erhielt, startete Davison über das Internet unter dem Hashtag #snaillove eine Suche nach potentiellen links gewundenen Paarungspartnern.
Diese Suche war sehr erfolgreich. Davison wurden mehrere Schneckenkönige zugesandt, unter anderem aus Frankreich, Spanien und Großbritannien. Mehrere dieser Tiere stammten von Schneckenfarmen.
Holger Kreitling:
Die erfreuliche Geschichte der linksgewundenen Schnecke Jeremy (Welt.de
05.01.2021, abgerufen 21.08.2022).
Kristen
Rogers:
Two lefties make a right, if you're a rare garden snail (edition.cnn.com
03.06.2020, abgerufen 21.08.2022).
Die eingesendeten Schnecken wurden anschließend von Davison und seinem Team katalogisiert und gepaart. Davison ging davon aus, dass die Schnecken unbefruchtet sein müssten, weil sich Schneckenkönige in der Natur kaum mit rechts gewundenen Partnern paaren würden, da dies aufgrund der spiegelbildlichen Anordnung der Organe zu schwierig sei. Paarungen finden aber sehr wohl statt, wie Karin und Peter Leonhardt (s.o.) zeigen konnten. Während diese aber in der Natur aufgrund der Seltenheit der Schneckenkönige kaum stattfinden, ist diese Möglichkeit in Schneckenfarmen, aus denen 80% der Schnecken (12 von 15) stammten, durchaus möglich.
Ergebnis der Paarungen waren ausschließlich rechts gewundene Schnecken. Nach weiterer Paarung schlüpften nur in der Generation F2 von zwei französischen Schnecken als F0-Generation im Vergleich zu 6287 rechts gewundenen 17 links gewundene Schnecken. Alle anderen Paarungen ergaben in der F2-Generation nur rechts gewundene Schnecken. (Tabelle 1 in Davison et al. 2020).
In Folge dieser Untersuchungen geht Davison davon aus, dass die Vererbung der Schalenwindung bei Cornu aspersum nicht aufgrund genetischer Faktoren geschieht, sondern aufgrund von Veränderungen (z.B. umweltinduziert) bei der Richtung der Zellteilungsspindel während der dritten Zellteilung der befruchteten Eizelle.
Bantock, C.R., Noble, K., Ratsey, M. (1973):
Sinistrality in Cepaea hortensis. Heredity 30, 397-398.
(Link,
abgerufen 12.08.2022)
Davison, A.,
Thomas, P. et al. (2020): Internet ‘shellebrity' reflects on origin of rare
mirror-image snails. The Royal Society: Biol. Lett. 16:6
(Link,
abgerufen 12.08.2022).
Davison, A.,
(2020): Flipping shells: unwinding LR asymmetry in mirror-image molluscs. Trends
Genet. 36, 189-202. (Link,
abgerufen 12.08.2022).
Shinju University:
Right- or left-handed? Gene expression tells the story of snail evolution
(Abgerufen 22.08.2022).