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Die Torsion und die gewundene Schneckenschale

Obwohl die Schale der Schnecken nach dem gleichen Grundprinzip aufgebaut ist, wie etwa die einer Teichmuschel oder eines Nautilus, so unterscheidet sie sich dennoch äußerlich stark von ihnen: Die Schale einer Schnecke ist spiralig gewunden und ihr Gewinde befindet sich deutlich sichtbar auf einer Seite des Körpers. Selbst bei Schnecken, bei denen das Gewinde nicht deutlich erkennbar ist, kann man bei genauerer Untersuchung feststellen, dass sich die Schalenspitze (der Apex) auf einer Seite der Schale befindet, der Nabel (Umbilicus) als Hohlraum auf der anderen.

 

Bild links: Der ursprüngliche Zustand bei den Schnecken: a: Kopftentakel. b - d: Verdauungstrakt: b: Mundöffnung; c: Mitteldarmdrüse; d: After. e - i: Nervensystem: e: Cerebralganglion; f: Pleuralganglion; g: Pedalganglion; h: Parietalganglion; i: Visceralganglion. k - n: Blutkreislauf: k: Herzbeutel (Perikard); m: Herz; n: paarige Kiemen. Quelle: Kaestner, A.: Lehrbuch der Speziellen Zoologie (Gustav Fischer, 1996), verändert.

Die Grundlage dieser besonderen Entwicklung der Schneckenschale liegt in einem evolutionären und embryonalen Vorgang, den man als Torsion bezeichnet (gemäß der biogenetischen Grundregel nach Haeckel wird die stammesgeschichtliche Entwicklung während der embryonalen Entwicklung wiederholt, daher findet die Torsion sowohl während der Evolution der Schnecken, als auch im Verlauf ihrer larvalen Entwicklung statt).

Bei der Torsion dreht sich der Eingeweidesack mitsamt dem Mantel (der für die Schalenbildung zuständig ist) nach rechts um seine senkrechte (dorso-ventrale) Achse. Während die ursprünglichsten Schnecken noch eine napfförmige bilateral symmetrische Schale besaßen, fand die Torsion erst später statt, nachdem sich die Schnecken von den übrigen Weichtieren abgespalten hatten.

 

Bild rechts: Zustand bei den Vorderkiemer-Schnecken: Der Eingeweidesack mit der Mitteldarmdrüse (a) ist auf die rechte Seite des Körpers gewandert und die Mantelhöhle mit den Kiemen (b) befindet sich vor dem Eingeweidesack. Eine Kieme ist bereits reduziert. Quelle: Kaestner, A.: Lehrbuch der Speziellen Zoologie (Gustav Fischer, 1996), verändert.

Infolge der Torsion wandert die Mantelhöhle mit den Kiemen und dem Osphradium, einem chemisch-mechanischen Sinnesorgan, nach vorne. Deswegen werden Schneckengruppen, bei denen dieser Zustand heute noch vorherrscht, als "Vorderkiemer" bezeichnet, eine Einteilung, die allerdings systematisch nicht haltbar ist. Man geht davon aus, dass dadurch die strömungstechnischen Bedingungen verbessert wurden.

Durch die räumlichen Bedingungen kam es zur Einengung einer der beiden Kiemen, die im weiteren Verlauf der Entwicklung zurück gebildet (reduziert wurde). In Zusammenhang damit verschwand auch einer der beiden Vorhöfe des Herzens, so dass das Herz der höher entwickelten Schnecken nurmehr zweikammrig ist.

Nervenbahnen verbinden den ursprünglichen Schlundring aus den Cerebral-, Pedal- und Pleuralganglien nahe dem Kopf mit den Parietal- und Visceralganglien, die sich bei den Vorderkiemerschnecken immer noch im Körper befinden. Diese Nervenbahnen, als Konnektive bezeichnet, überkreuzen sich während der Torsion, da sich der Eingeweidesack dreht. Man bezeichnet diesen Zustand als Chiastoneurie oder Streptoneurie, also Gekreuztnervigkeit (aus dem Griechischen χιασμα = Kreuz und στρεπτος = gewunden).

 

Bei den Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia) kam es später zu einer gegenläufigen Entwicklung. Diese Detorsion führte dazu, dass die Mantelhöhle anfänglich auf die rechte Seite (ein Zustand, der heute noch bei der Gruppe der Flankenkiemerschnecken ('Notaspidea') vorherrscht) und dann wieder nach hinten zu liegen kam. Im Zuge dieser Entwicklung entkreuzte sich auch das Nervensystem, so dass die Konnektive wieder gerade verlaufen - man spricht daher von Geradnervigkeit (Euthyneurie, aus dem Griechischen ενθνς = gerade).

Bild links: Entstehung der Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia). Die Mantelhöhle (b) wandert wieder über die rechte Körperseite nach hinten. Die Nervenbahnen entkreuzen sich (Euthyneurie). a: Mitteldarmdrüse. Quelle: Kaestner, A.: Lehrbuch der Speziellen Zoologie (Gustav Fischer, 1996), verändert.

Bei zahlreichen Hinterkiemerschnecken ist die Mantelhöhle mit der ursprünglichen Kieme zurückgebildet. Die Atmung findet nunmehr mit sekundären Kiemen auf dem Rücken, den Cerata, statt.

 

Geradnervigkeit (Euthyneurie) ist Hinterkiemern und Lungenschnecken (Pulmonata) gemeinsam. Allerdings kam es bei den Lungenschnecken aufgrund der verstärkten Konzentration der Ganglien im Kopfbereich (man kann hier vom Beginn einer Gehirnentwicklung oder Cerebralisation sprechen) nie zur Streptoneurie, daher ist die Geradnervigkeit hier unabhängig von den Hinterkiemerschnecken zu sehen, obwohl sonst zahlreiche Entwicklungsmerkmale gemeinsam sind.

Bild rechts: Die Entwicklung der Lungenschnecken (Pulmonata). Während sich die Mantelhöhle mit der Lunge (b) vorne befindet, wie bei den Vorderkiemerschnecken, kam es nicht zur Streptoneurie, da die Ganglien bereits im Schlundbereich (c) konzentriert waren und von der Torsion nicht mehr betroffen wurden. a: Mitteldarmdrüse. Quelle: Kaestner, A.: Lehrbuch der Speziellen Zoologie (Gustav Fischer, 1996), verändert.

Aus Platzgründen kam es im Verlauf der Torsion auch zu einer spiraligen Aufwindung des Eingeweidesacks und damit auch der Schale der Schnecken. Da sich zu diesem Zeitpunkt der Eingeweidesack bereits zu einer Seite gedreht hatte, ist auch die Schale der Schnecken asymmetrisch auf eine Seite gewunden. Schneckenarten mit einer napfförmigen Schale, wie z.B. meereslebende Napfschnecken (Patellidae) oder süßwasserlebende Napfschnecken haben diese Schalenform, in Anpassung an ihre Lebensweise, erst später erworben. Bei den Larven, teilweise auch bei den Jungschnecken, kann man noch einen Teil der spiraligen Schale erkennen.

Zusammenfassend lässt sich die Torsion als eine Entwicklung verstehen, die zum einen strömungstechnisch günstig ist und zum anderen die Reduzierung paariger Organe wie der Kiemen erlaubt. Die spiralig gewundene Schneckenschale ist, im Bereich der Weichtiere einzigartig und in dieser Form nur bei den Schnecken entstanden. Deswegen kann man Schneckenschalen in den meisten Fällen auch leicht von den Schalen anderer Weichtiere unterscheiden.