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Der Liebespfeil

Inhalt:

Der Liebespfeil (Gypsobelum) wird bei manchen Landschneckengruppen im Genitalapparat hergestellt, um bei der Paarung eine wichtige Rolle zu erfüllen. Liebespfeile werden zwischen 1 und 30 mm lang und bestehen aus Kalk, Chitin oder Knorpel. Ihr Feinbau stellt außerdem eine Möglichkeit dar, verwandte Schneckengruppen voneinander abzugrenzen.

Am besten sind Liebespfeile bei den Schnirkelschnecken (Helicidae) und verwandten Gruppen erforscht. Besonders bei der einheimischen Weinbergschnecke (Helix pomatia) und bei der Gefleckten Weinbergschnecke (Cornu aspersum) sind Liebespfeile und die Rolle, die sie während der Paarung spielen, gut bekannt.

Der kanadische Wissenschaftler Dr. Ronald Chase geht davon aus, dass die antike Legende von Cupidos (bzw. Eros in der griechischen Mythologie) Liebespfeilen auf Beobachtungen des Paarungsspiels der Schnecken zurückzuführen ist.

Entstehung und Anwendung des Liebespfeils


Im Frühjahr, wenn die Weinbergschnecken aus der Kältestarre
erwacht sind, beginnt ihre Paarungszeit.
Bild: Robert Nordsieck.
 

Landlungenschnecken (Stylommatophora) sind sämtlich Zwitter (Hermaphroditen), die einen hoch entwickelten Genitalapparat mit weiblichen, männlichen und zwittrigen Organen besitzen. Der Liebespfeil wird in diesem System in einem speziellen Organ, dem Pfeilsack (Bursa telae) gebildet.

Während der Liebespfeil bei den Schnirkelschnecken aus Kalk (Calciumcarbonat CaCO3) besteht, gibt es in anderen Landschneckengruppen Liebespfeile aus Chitin oder aus Knorpel.

Besonders bei der Weinbergschnecke ist das oft mehrere Stunden andauernde Liebesspiel bekannt, während dem sich die Schnecken mit den Fußsohlen aneinander aufgerichtet hin und her wiegen und mit den Fühlern betasten. Während dieses Liebespiels kann es zur Anwendung des Liebespfeils kommen, der dem Partner in den Fuß gestochen wird. Dazu wird aus der Genitalöffnung der Pfeilsack ausgestülpt und im Verlauf dieser Bewegung der Liebespfeil ausgestoßen, der auf einer Papille im Pfeilsack sitzt. Trotz der Bezeichnung "Liebespfeil" oder im englischen "love dart" beschreibt der Liebespfeil dabei keine freie Flugbahn, er wird weder geschossen, noch geworfen, sondern gestoßen.

 
Diese Gefleckte Weinbergschnecke (Cornu aspersum) wurde
gleich von zwei Liebespfeilen getroffen. Der vordere stammt
aber wahrscheinlich von einer im selben Terrarium lebenden
Hainbänderschnecke (Cepaea nemoralis).
Bild: Robert Nordsieck.

Nachdem der Liebespfeil ausgestoßen wurde, setzt sich das Paarungsvorspiel mit wachsender Intensität fort, bis es nach einigen Versuchen zur eigentlichen Begattung kommt, bei der wechselseitig von beiden Partnern eine mit Samenzellen gefüllte Spermatophore übertragen wird. Im Idealfall wird der Liebespfeil dem Partner in den Fuß gestochen, es kann allerdings auch vorkommen, dass eine Schnecke von mehreren Liebespfeilen gleichzeitig gestochen wird, oder dass ein Liebespfeil nicht eingestochen wird und ergebnislos abfällt. Es kann sogar zu Verletzungen kommen, bei denen der Liebespfeil zum Beispiel so in den Kopf gestochen wird, dass die gestochene Schnecke einen Fühler nicht mehr ausstrecken kann.

Schnecken stellen immer nur einen Liebespfeil auf einmal her, und wenn ein Liebespfeil verbraucht wurde, braucht es einige Zeit, bis der nächste bereit ist. In dieser Zeit können aber weitere Paarungen stattfinden, es muss also nicht zwingend zur Anwendung eines Liebespfeils kommen. Offensichtlich ist die erste Paarung überhaupt notwendig, um die Bildung eines Liebespfeils im Genitalapparat anzuregen (Chung 1986), so dass auch während der ersten Paarungen einer Schnecke kein Liebespfeil zur Anwendung kommt.

Während viele Schneckenarten nur einen Pfeilsack besitzen, haben andere sehr wohl mehrere Pfeilsäcke. Darunter fallen die Strauchschnecken (Bradybaenidae) und die Laubschnecken (Hygromiidae), sowie die Familie der Helminthoglyptidae aus dem Süden und Südwesten Nordamerikas.

Aufgabe des Liebespfeils während der Paarung

Die Bedeutung des Liebespfeil für die Paarung der Schnecken war lange Zeit nicht bekannt. Dass der Liebespfeil jedoch mit der Paarung zu tun hat, spiegelt schon die Bezeichnung an sich wieder, die mit dem Pfeil des Cupido oder Eros aus der antiken Mythologie zusammen hängt. Ursprünglich ging man davon aus, dass der Liebespfeil nur als sexuelle Stimulation der Schnecken diene. Eine andere Hypothese besagte, der Liebespfeil sei eine Kalkspende an die empfangende Schnecke, die ja immerhin Eierschalen herstellen muss. Kalk wiederum gehört für die meisten Schnecken zu den wichtigsten Rohstoffen, die aus der Natur aufgenommen werden müssen.

Forschungsergebnisse seit den 80er Jahren haben jedoch ergeben, dass die Rolle des Liebespfeils eine ganz andere ist:

Im Genitalapparat der Weinbergschnecke gibt es ein spezialisiertes Organ, die Bursa copulatrix. Diese Begattungstasche dient nicht, wie anfangs angenommen, dazu, Samenzellen aufzunehmen (der veraltete Begriff des "Receptaculum seminis"), sondern, Samenzellen zu verdauen. Dieser Selektionsmechanismus dient dazu, nur die aktivsten und gesündesten Samenzellen zur späteren Befruchtung zuzulassen. Natürlich liegt es im Interesse der Schnecke, von der die Samenzellen stammen, möglichst viele ihrer eigenen Samenzellen zur Befruchtung zu bringen, da sie zusammen mit den Samenzellen der anderen Partner gesammelt werden und in Konkurrenz mit diesen später zur Befruchtung kommen.

Der Liebespfeil überträgt ein hormonhaltiges Sekret, das von den fingerförmigen Drüsen im Genitalapparat der Schnecke produziert wird. Die darin enthaltenen Hormone beeinflussen den Eisamenleiter (Spermovidukt) der empfangenden Schnecke, dessen peristaltische Bewegungen nun den Weg der Samenzellen unterstützen, die durch den Spermovidukt bis zur Samentasche gelangen müssen, wo sie bis zur Befruchtung gespeichert werden. So überlebt ein größerer Anteil der Samenzellen und die Befruchtungschancen und damit die Chance, die eigenen Gene weiter zu vererben, werden verbessert. Die Befruchtungschancen einer Schnecke können sich durch Anwendung eines Liebespfeils verdoppeln (Chase, R.; Blanchard, K.C.; 2006).

"The love dart is a tool of male manipulation" (Der Liebespfeil ist ein Werkzeug männlicher Manipulation" (National Geographic, 2002). Der kanadische Wissenschaftler Dr. Ronald Chase hat entdeckt, dass Schnecken sehr wohl vermeiden, mit einem Liebespfeil gestochen zu werden. Er beschreibt, dass das Liebesspiel der gefleckten Weinbergschnecke (Cornu aspersum) sogar manchmal wie ein Ritterturnier ("jousting") anmutet, wenn beide Schnecken sich umkreisen, um nicht getroffen zu werden. Neuere Forschungsergebnisse bei Baumschnecken (Arianta arbustorum) weisen darauf hin, dass auch der Empfänger der Samenzellen möglicherweise die Möglichkeit hat, Samenzellen eines bestimmten Partners selektiv auszuwählen.

  Ausschnitt (schematisch) aus dem Genitalapparat von Cornu aspersum
Ausschnitt (schematisch) aus dem Genitalapparat von Cornu
aspersum
. MG: Fingerförmige Drüsen; S: Pfeilsack; D: Liebes-
pfeil; V: Vagina; G: Genitalatrium.
Quelle: Koene, Schulenburg (2005).

Genitalapparat der Weinbergschnecke: Erklärung der beteiligten Organe.

Die Evolution des Liebespfeils

Der Liebespfeil ist nur von den Landlungenschnecken (Stylommatophora) und wenigen ursprünglicheren Gruppen der Systellommatophora bekannt, was den Schluss zulässt, dass die Bildung eines Liebespfeils ein ursprüngliches Merkmal der Lungenschnecken (Pulmonata) darstellt, das im Verlauf der Entwicklung vieler Landlungenschneckengruppen zurück gebildet wurde. Rudimentäre Liebespfeile kommen in der Familie Sagdidae vor, zurückgebildete (degenerierte) Organe kommen bei vielen Verwandten der Schnirkelschnecken (Helicoidea) vor. So hat man das Sarcobelum als ein zurückgebildetes Organ erkannt, in dem in einem früheren Evolutionsstadium ein Liebespfeil gebildet wurde.


Gemeine Haarschnecke (Trochulus hispidus).
Bild: Michal Maňas (Quelle).
 

Nur bei den Strauchschnecken (Bradybaenidae) und den in Südostasien heimischen Dyakiidae besitzen alle Arten der Familie Liebespfeile, bei allen anderen Gruppen sind Liebespfeile z.T. sekundär zurück gebildet.

Bei den Dolchschnecken (Gastrodontidae) schließlich, hat sich ein "Liebesdolch", ein spitzes kalkhaltiges Stimulationsorgan, als Seitenzweig des Penis entwickelt, der folglich zum männlichen und nicht zum weiblichen Teil des Genitalapparats gehört.

Liebespfeile unterschiedlicher Schneckengruppen

Wie bereits eingangs erwähnt, erscheinen Liebespfeile bei zahlreichen unterschiedlichen Gruppen der Landlungenschnecken (Stylommatophora) und der Systellommatophora. Sie sind hochgradig artspezifisch und können nach ihrem Bau und ihrer Form unterschieden und verschiedenen Arten zugeordnet werden. Das stumpfe Ende des Liebespfeils läuft im Allgemeinen in einer Form von Krone aus, die auf der Papille des Liebespfeilsacks sitzt. Während der Liebespfeil der Gemeinen Haarschnecke (Trochulus hispidus, Hygromiidae) ein einfaches gerundetes Stilett darstellt, ist der Liebespfeil der Gartenbänderschnecke (Cepaea hortensis) aus der Unterfamilie der eigentlichen Schnirkelschnecken (Helicinae) mit mehreren seitlichen längs verlaufenden Klingen verstärkt. Im Gegensatz dazu verfügen die nahe verwandten Ariantinae nur manchmal über Seitenklingen des Liebespfeils.

Während die Liebespfeile der Schnirkelschnecken meist mehr oder weniger gerade sind, gibt es in anderen Gruppen auch säbelartig gekrümmte Liebespfeile und sogar spiralig gewundene Formen, wie bei der Inkarnatschnecke (Monachoides incarnatus).

Auch die Größe des Liebespfeils ist sehr unterschiedlich, sie erstreckt sich zwischen 1 mm bei den kleinsten Schneckenarten bis etwa 30 mm bei größeren Schneckenarten. Bei der Halbnacktschneckengattung Parmarion (Helicarionidae) kann der Liebespfeil ein Fünftel der Gesamtlänge des Körpers betragen.

 
Elektronenmikroskopische Aufnahme des Liebespfeils von
Cepaea hortensis (Helicidae).
Quelle: Koene, Schulenburg (2005).
 
Perforatella incarnata (Hygromiidae)  
 
Arianta arbustorum (Helicidae, Ariantinae)  
 
Cepaea hortensis (Helicidae, Helicinae)  
 
Cepaea nemoralis (Helicidae, Helicinae)  
 
Helix pomatia (Helicidae, Helicinae)  
 
Helix lucorum (Helicidae, Helicinae)  
 
Cornu aspersum (Helicidae, Helicinae)  
Liebespfeile im Vergleich. Quelle:  Koene, Schulenburg (2005).  

Systematik des Liebespfeils

In folgenden Schneckengruppen sind Liebespfeile nachgewiesen worden:
(Die Liste ist nicht vollständig!)

Systellommatophora
  • Onchidioidea

    • Onchidiidae

   
Stylommatophora
  • Helicoidea

    • Helicidae

    • Bradybaenidae

    • Helminthoglyptidae

    • Hygromiidae

    • Humboldtianidae

  • Zonitoidea

    • Zonitidae

  • Gastrodontoidea
    • Gastrodontidae

  • Arionoidea

    • Philomycidae

   
  • Helicarionoidea

    • Urocyclidae

    • Ariophantidae

    • Helicarionidae
       

  • Limacoidea

    • Vitrinidae
       

  • Dyakioidea

    • Dyakiidae
       

  • Parmacelloidea

    • Parmacellidae

Literatur:

Links: