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Die Augen der Weichtiere

Die Evolution der Lichtsinnesorgane bei den Mollusken

 
Entwicklungsstadien des Auges bei den Weichtieren. Quelle: Wikipedia.
a: Flachauge; b: Becherauge; c: Lochkameraauge; d: Blasenauge; e: Linsenauge.

Am Beispiel der Weichtiere (Mollusca) lässt sich sehr gut die Entwicklung von Sehsinnesorganen im Tierreich betrachten: Zu den vielfältigen unterschiedlichen Gruppen der Weichtiere gehören ursprüngliche und hoch entwickelte,  bewegliche und ortsfeste (sessile) Arten.

In ihrer ursprünglichsten Form geschieht eine Lichtwahrnehmung im Tierreich mit einzelnen Sinneszellen, die im Epithel des Körpers angeordnet sind. Einzelne Lichtsinneszellen, die wie bei den Schnecken und den Ringelwürmern über den Körper verteilt sind, und dem Tier so einen Schattenreflex ermöglichen, stellen aber als solche noch kein Sinnesorgan dar, wie ein spezialisiertes Feld mit Lichtsinneszellen und isolierenden Pigmentzellen, das man als Flachauge bezeichnet. Dieses ermöglicht dem Tier allerdings nur, Helligkeitsunterschiede wahrzunehmen: Höchstens in Ansätzen ist es mit Hilfe von isolierenden Pigmentzellen möglich, auch die Richtung des Lichteinfalls zu erkennen.

Während man Flachaugen heute noch bei ursprünglichen Gruppen der Wirbellosen, wie z.B. bei Hohltieren, findet, kann man auch davon ausgehen, dass die Vorfahren der Weichtiere, einfache wurmartige, bodenlebende Wesen, ebenfalls solche Flachaugen besaßen.

Ein Flachauge kann einem sich passiv fortbewegenden oder sessilen Tier wertvolle Dienste leisten. Die gerichtete Bewegung höher entwickelter Weichtiere fordert jedoch eine Weiterentwicklung der Sehsinnesorgane, die man in der Folge erkennen kann: Wenn sich das lichtempfindliche Epithel eines Flachauges zu einer Grube einsenkt, so nehmen die Lichtsinneszellen an den gegenüber liegenden Seiten der Grube Licht und Schatten unterschiedlich wahr. So kann die Einfallsrichtung des Lichtes ermittelt werden. Solche Grubenaugen in ihrer einfachsten Form findet man nur bei vorwiegend sessilen oder langsam kriechenden Wirbellosen.


Käferschnecke. Quelle: Invertébrés Herbivores.
 

Zusammen mit der Weiterentwicklung des Auges geschah in Anpassung an eine gerichtete Fortbewegung meist auch eine Entwicklung der Körperform: Die Sinnesorgane konzentrierten sich an dem Ende des Körpers, das üblicherweise in die Hauptrichtung der Bewegung zeigte. So entstand ein Kopf als Zentrum der Sinnesleistungen.

Während ein Grubenauge zwar die Richtung des Lichteinfalls wahrnimmt, kann es keine Bilder erzeugen, sondern nur Licht und Schatten unterscheiden. Zur Erzeugung eines Bildes, vor allem für räuberische Weichtiere, die ihre Beute erkennen und verfolgen müssen, war es daher erforderlich, dass die beim Becherauge sehr weit offene Sehöffnung sich verkleinerte und so auf den Sehsinneszellen der Netzhaut (Retina) ein schärferes Bild erzeugt wurde. Das entstehende Pigmentbecherauge findet man in seiner ursprünglichen Form heute noch als Pigmentbecherocellen im Mantel mancher Muscheln, sowie bei den Strudelwürmern (Turbellaria).

Becheraugen findet man auch bei urtümlichen, weitgehend ortsfesten, Schnecken, wie Napfschnecken (Patellidae).

Vergleichbar mit den Pigmentbecheraugen sind auch die Schalenaugen der Käferschnecken (Polyplacophora). Diese befinden sich, wie der Name schon sagt, in den rückenseitigen Schalenplatten der Käferschnecken und ermöglichen dem Tier, auf seiner Rückenseite Licht und Schatten zu unterscheiden.

Mit weiter gehender Verkleinerung der Augenöffnung erwirbt das Auge ähnliche Fähigkeiten, wie eine Lochkamera: Es kann also ein einigermaßen scharfes, wenn auch lichtschwaches, Bild auf die Netzhaut projizieren. Innerhalb der Weichtiere findet man ein Lochkamera-Auge z.B. bei den Meerohren (Haliotidae) und beim Nautilus. Dieser urtümliche Vertreter der rezenten Kopffüßer ist ein lebendes Fossil, ein Überbleibsel aus dem Erdmittelalter.

Schon beim Becherauge und beim Lochkamera-Auge ist der Augeninnenraum von einem Sekret erfüllt, das die Lichtstrahlen bricht und so Lichtstärke und Schärfe des Bildes in Ansätzen verbessert. Dieser sekretgefüllte Augeninnenraum konnte sich entscheidend weiter entwickeln, als sich die Augenöffnung des Lochkamera-Auges schloss und vom Epithel überdeckt wurde. Es entstand eine flüssigkeitsgefüllte, lichtbrechende Blase, die bei höher entwickelten Schnecken, wie den meisten räuberischen Meeresschnecken, eine einigermaßen scharfe Bilddarstellung bei entsprechender Lichtstärke (im Gegensatz zur Camera obscura, der "dunklen Kamera" des Lochkamera-Auges) ermöglicht.


Kopf einer Weinbergschnecke. Bild: Cornelia Kothmayer.
 

Dieses Blasenauge erreicht seine höchste Entwicklung bei den Landschnecken: Bei der Weinbergschnecke (Helix pomatia) kann man bereits von einem primitiven Linsenauge sprechen. Die Linse der Weinbergschnecke verfügt aber nicht über einen Ciliarmuskel, der sie scharf stellen könnte, folglich kann die Schnecke das Bild höchstens in Ansätzen durch eine Bewegung der Fühler scharf stellen.

Diese Möglichkeit haben unter den Schnecken wiederum nur die Landlungenschnecken (Stylommatophora), zu denen auch die Weinbergschnecke gehört: Nur bei ihnen befinden sich die Augen an der Spitze der großen Fühler.

 
Augenfühler einer Weinbergschnecke. Bild: Martina Eleveld.

Während man auch bei Meeresschnecken öfter Augenträger findet, dienen diese, z.B. bei den Fechterschnecken (Strombidae) vor allem dazu, dass die Schnecke unter der schützenden Schale hervorschauen kann, ohne den Kopf ausstrecken zu müssen.

Eine andere Methode der Bildschärfung haben die Muscheln (Bivalvia) entwickelt: Muscheln besitzen zwar keinen Kopf, frei schwimmende Arten, wie die Kammmuscheln (Pecten), tragen jedoch im Mantelrand gut entwickelte Augen, mit denen sie sich beim Schwimmen im Wasser orientieren können. Eine Spiegelhaut, die Argentea, wirft das Licht, dessen Brennpunkt hinter der Netzhaut liegen würde, auf diese zurück und erzeugt so ein schärferes Bild.

Die am höchsten entwickelten Weichtiere finden sich bei den heutigen Kopffüßern (Cephalopoda) - Sepien, Kalmaren und Kraken. Die heutigen Kopffüßer sind sämtlich räuberisch: Entweder lauern sie ihrer Beute, oft Krebsen und anderen Weichtieren, auf oder sie erbeuten Fische, mit denen sie, wie die Kalmare, ohne weiteres um die Wette schwimmen können.

Zur Orientierung brauchen die Kopffüßer gut entwickelte Augen: Ein Nautilus mit seinen Lochkamera-Augen könnte, auch ohne seine hinderliche Schale, nicht mit den Fischen mithalten, mit denen er den Lebensraum teilt. Die Kalmare aber sind schalenlos (mit Ausnahme eines inneren Schalenrests, des Gladius) und können nicht nur im Schwimmen mit den Fischen mithalten: Ihre Augen verfügen über Iris und Linse und ähneln äußerlich im Bau einem Wirbeltierauge.


Inverses Auge des Wirbeltiers (links) und everses Auges eines Weichtiers (rechts).
1: Lichtsinneszellen (Retina); 2: Nervenzellen; 3: Sehnerv; 4: Blinder Fleck.
Quelle: Wikipedia.
 

Nur beim genauen Hinsehen erkennt man, dass die Sinneszellen nach außen weisen, dem einfallenden Licht entgegen: Die Lichtsinneszellen im eversen Auge der Weichtiere werden entwicklungsbiologisch erst später an das Nervensystem angeschlossen, im Gegensatz zum inversen Wirbeltierauge, dessen Lichtsinneszellen getrennt vom Augenbecher entstehen und daher "verkehrt" im Augenbecher sitzen.

 
Auge der Sepia (Sepia officinalis).
Photo: Robert Patzner, Universität Salzburg.

Auch eine andere Gemeinsamkeit unterscheidet tatsächlich beim näheren Hinsehen das Auge eines Kopffüßers von dem eines Wirbeltiers: Beide haben Linsenmuskeln, die für die Scharfstellung des Bildes verantwortlich sind. Während beim Wirbeltier der Linsenmuskel aber dazu dient, die Linse zu verformen und so das Bild scharf zu stellen, dient er beim Kopffüßer, etwa einem Kraken, dazu, die Linse vor und zurück zu bewegen, und verändert so die Schärfe des Bildes.

Ihre ausgezeichneten Augen ermöglichen es den Kopffüßern nicht nur, mit den Fischen mithalten zu können, sondern auch besonders bemerkenswerte Methoden der Tarnung und der Kommunikation. Kraken können vor ihrem Hintergrund verschwinden, wenn sie Farbzellen (Chromatophoren) in ihrer Haut einsetzen. Sepien können miteinander durch Veränderung ihrer Farbe kommunizieren und Stimmungen mitteilen. Bei manchen Sepien in der Paarungszeit bietet sich so ein fast hypnotisch wirkendes Flimmerspiel aller Farben des Regenbogens.

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