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Die römische Weinbergschnecke (Helix pomatia). Bild: Robert Nordsieck. |
Schneckenwirtschaft kennen wir schon aus der Römerzeit. In der Antike wurden die Schnecken als cochlea bezeichnet, ebenso wie der Schöpflöffel, denn als solcher wurden Schneckenschalen damals benutzt. Die auf die schmackhaften Tiere versessenen Römer ließen die Schnecken zum Beispiel in Ligurien sammeln und in cochlearia oder Schneckengärten mästen, bis sie zum Verzehr zubereitet werden konnten. Beispielsweise in Milch eingelegt, waren Schnecken wegen ihrer anregenden Wirkung beliebt., wie Plinius und Varro zu berichten wissen.
Durch die Ausbreitung des römischen Imperiums gelangten Schnecken, wie Schneckenrezepte bis in die entlegensten Regionen Europas, Nordafrikas und Kleinasiens. Weinbergschneckenschalen finden sich immer wieder in Ausgrabungen antiker Küchenabfälle, was die Beliebtheit von Schnecken als Nahrungsmittel in römischer Zeit dokumentiert. Selbst heute noch wird die Weinbergschnecke Helix pomatia im Englischen als "Roman Snail" , römische Schnecke, bezeichnet. Möglicherweise ist sie wirklich erst durch die Römer auf den Britischen Inseln eingeführt worden.
Man sollte sich dadurch aber nicht darin täuschen lassen, dass der Konsum von Schnecken durch den Menschen ziemlich sicher eine viel längere Geschichte hat. So geht man heute davon aus, dass die Gefleckte Weinbergschnecke (Cornu aspersum) schon in vorrömischer Zeit, also zur Zeit der Kelten, auf den Britischen Inseln eingeführt worden ist. Griechen, Phönizier und andere vorrömische Kulturen im mediterranen Raum haben sicher schon viel früher Schnecken und andere Weichtiere als Nahrung genutzt. Meeresfrüchte allgemein, aber auch verschiedene landlebende Schneckenarten (übrigens auch nicht zu den Weinbergschnecken gehörende Arten) sind bis heute fester Bestandteil der mediterranen Küche.
Das Mittelalter brachte eine andere, christlich orientierte, Sichtweise auf die Schneckenwirtschaft mit sich. Schnecken haben den entscheidenden Vorteil, weder Fisch noch Fleisch zu sein und außerdem ausgezeichnet zu schmecken. Folgerichtig wurden sie zu einer beliebten Fastenspeise. In den meisten Klöstern jener Zeit gab es einen Schneckengarten und die Mönche ließen sich, Fastenzeit hin oder her, die Schnecken gut schmecken, wahlweise mit einem ebenso guten Bier dazu.
Schneckenhändler in Indelhausen. |
Mönche waren in jener Zeit allerdings nicht die Einzigen, die gerne Schnecken aßen. Ganz anders als heute waren Schnecken durchaus auch ein Arme-Leute-Essen. Schnecken kosteten nichts, man konnte sie in der Natur sammeln und sie waren (und sind es heute noch) sehr nahrhaft und gehaltvoll. Auf diese Art sind wohl die Schneckengärten auf der Schwäbischen Alb entstanden, wie sie bis in vergangene Jahrhundert beschrieben werden.
Neben dem Eigenverbrauch blieb auch der Handel nicht aus. Besonders die fetten Deckelschnecken (s. u.) wurden als natürliche Konserve auf dem Markt verkauft. Manch eine lustige Anekdote blieb nicht aus: So gibt es zum Beispiel die Geschichte, dass eine Abordnung aus einem nicht näher zu bezeichnenden schwäbischen Dorf unterwegs zum Markt waren, um dort einen Wagen voll Deckelschnecken zu verkaufen. Auf dem Weg wurden sie von zahlreichen Lokalbesuchen aufgehalten, so dass, als sie den Markt endlich erreichten, die Schnecken inzwischen das Weite gesucht hatten. Natürlich kam mit dem Handel auch die Zucht. Reichte es für den Eigenkonsum noch völlig aus, die Schnecken zu sammeln, im Schneckengarten zu halten und zu mästen und dann, bevorzugt die fetten Deckelschnecken, zu essen, so mussten für den Handel die besten, größten und wohlschmeckendsten Schnecken gezüchtet werden. Aus jener Zeit stammt beispielsweise auch die Idee, Schnecken mit unterschiedlichen Kräutern zu füttern, um ihnen einen besonders feinen Geschmack zu verleihen.
Auch in der Medizin fand die Weinbergschnecke zu damaliger Zeit Verwendung. Aus Schnecken konnten Hausmittel gegen Husten gewonnen werden und selbst ein probates Mittel gegen die Schwindsucht war bekannt.
Historischer Schneckengarten, von der Fachhochschule Nür- tingen im Rahmen des Albschneck-Projektes gebaut. |
Der Erfolg der schwäbischen Schneckenzüchter spricht Bände: Auf dem Wasserweg wurden die Schnecken in Fässern, bis zu 500 Tonnen Deckelschnecken jährlich, auf besonderen Frachtkähnen, den Ulmer Schachteln, bis ins ferne Wien verfrachtet und dort auf den Märkten verkauft. Der Rückweg fand zu Fuß statt (immerhin etwa 600 Kilometer), unter Mitnahme der in Wien entstandenen Kinder. Noch im 18. Jahrhundert herrschte zwischen Schwaben und Wien ein reger Schneckenhandel.
Später wanderte das Hauptziel des Schneckenhandels nach Paris, wo noch 1908 allein das schwäbische Dorf Guttenstein 4 Millionen Schnecken in einem Jahr verkaufte, zu 4 - 5 Mark das Tausend.
Während noch auf Napoleons Feldzügen Deckelschnecken als natürliche Konserven die Soldaten begleiteten, beendete zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Aufkommen der heute gebräuchlichen Konserven die Hochzeit des schwäbischen Schneckenhandels. Heute werden Schnecken vielfach aus Osteuropa oder sogar aus Asien und Afrika importiert.
Heute versteht man Schnecken als eine Delikatesse für die hohe Küche. Bäuerliche Rezepte aus jener Zeit, wie Schneckenknödeln, Schneckenwürstln mit Kren und Kraut aus dem Österreich des 18. und 19. Jahrhundert sind heute nicht mehr geläufig. Dabei wurden Schnecken neben ihrem guten Geschmack vor allem wegen ihrer anregenden Wirkung auf die männliche Leistungsfähigkeit bevorzugt, wie ein Sprichwort aus der Steiermark zu berichten weiß.
Jedoch hat der Schneckenhandel auch heute noch Zukunft. In Frankreich hat die Schnecke ihren Status als Speise für alle Leute nie verloren und auch im deutschen Sprachraum gewinnt sie wieder mehr Bedeutung. Vor allem bäuerliche Restaurants im schwäbischen Raum, aber auch manch ein Starkoch, besinnen sich wieder auf die historischen Gerichte oder entwickeln neue Kreationen, wie zum Beispiel "Schnecken und Shrimps mariniert auf gebackenen Tomaten und Rucola" (aus dem Gasthof Krone in Nersingen-Unterfahlheim).