Einschaler (Tryblidia)

Tryblidia Lemche 1957
(Tryblidiacea Wenz 1938, in Lemche 1957, *Monoplacophora* Odhner 1940, partim, u. a.)

 

  Dorsal-Ansicht von Neopilina galatheae. Unten: seitl. Ansicht.
Quelle: Monoplacophora (Univ. Mich. Mus. Zool. 1995).
Klasse Artenzahl
Schnecken (Gastropoda) 43.000
Muscheln (Bivalvia) 10.000
Kopffüßer (Cephalopoda) 650
Kahnfüßer (Scaphopoda) 600
Einschaler (Tryblidia) 20
Käferschnecken (Placophora) 750
Furchenfüßer (Solenogastres) 230
Schildfüßer (Caudofoveata) 120
Weichtiere (Mollusca) 55.400
Artenzahlen der Weichtiere. Diagramm.
 

1952 wurde während einer dänischen ozeanographischen Expedition mit dem Forschungsschiff Galathea vor der Westküste von Costa Rica in Mittelamerika eine neue Weichtierart gefunden, die das Verständnis der Weichtierbiologie entscheidend verändern sollte.

Es handelt sich um unscheinbare, napfschneckenähnliche Tiere von etwa 3 cm Schalenlänge, die mit einem Schleppnetz in 3750 Meter Tiefe gefangen wurden. Zunächst wurden die Proben eingelagert, um später in Dänemark von Spezialisten untersucht zu werden. Die Ergebnisse der Untersuchung, die der dänische Zoologe H. Lemche 1957 in einer Arbeit veröffentlichte, überraschten die Fachwelt. Nicht nur handelte es sich bei dem kleinen Weichtier eindeutig nicht um eine Napfschnecke, vielmehr gehörte es zu einer Gruppe von Weichtieren, die bisher nur als Fossilien aus dem Kambrium vor mehreren hundert Millionen Jahren bekannt waren. Nach einer fossilen Art der Gruppe namens Pilina, nannte Lemche das neu entdeckte Weichtier Neopilina - die neue Pilina.

Betrachtet man Neopilina in der Rückenansicht, so scheint sie tatsächlich einer Napfschnecke zu ähneln. Eine napfähnliche Schale bedeckt die gesamte Rückenseite des Tieres. Bei einem Exemplar entdeckte man sogar Überreste des Embryonalgewindes, also war die Schale von Neopilina sogar ähnlich gewunden, wie die einer Schnecke. Jedoch, und das ist die erste der vielen Besonderheiten von Neopilina: Die Schalenspitze zeigt nach vorne, nicht nach hinten oder zur Seite, wie bei allen Schnecken. Das einzige bekannte Weichtier, dessen Schale nach vorne gewunden ist, ist Nautilus, ein Kopffüßer. Querschnitte durch die Schale von Neopilina ergaben, dass es sich um eine echte Weichtierschale mit dem bekannten dreischichtigen vertikalen Aufbau handelte. Ebenso, wie bei anderen Weichtieren wird die Schale von der rückenseitigen Epidermis, dem Mantel, gebildet.

Schematische Darstellung der Ventralseite von Neopilina.
Quelle: Biodidac, weitere Bearbeitung: R. Nordsieck.
 

Betrachtet man die Ventralseite einer Neopilina, so erkennt man, dass die Ähnlichkeit zu einer Napfschnecke tatsächlich nur oberflächlich und auf die Schale bezogen ist. Neopilina hat keinen Kopf, nur eine etwas hervor gehobene Mundöffnung, hinter der sich einige Mundtaster befinden. Neopilinas Fuß ist rund und befähigt das Weichtier wahrscheinlich nur zu einer sehr langsamen Kriechbewegung. Auf beiden Seiten des Fußes erkennt man fünf weichtiertypische Kammkiemen (Ctenidien). Neben der Vielzahl der Kiemen unterscheidet Neopilina sich auch insofern von den Schnecken, als sie keine Mantelhöhle besitzt, wie die meisten höheren Weichtiere, sondern eine seitlich und hinten (lateral und caudal) verlaufende Mantelrinne zwischen Mantel und Fuß. In dieser sind serial die Kiemen angeordnet. Zwischen den Kiemen erkennt man bei einer anatomischen Untersuchung die ebenfalls serial angeordneten Rückziehmuskeln des Fußes, sowie die mehrfach ausgebildeten Nephridien - Exkretionsorgane, wie man sie in serialer Anordnung sonst nur bei den Ringelwürmern (Annelida) findet.

Die paarigen Gonaden von Neopilina sind zu einer Gonade verschmolzen, die aber Geschlechtszellen über zwei erhalten gebliebene Ausführgänge ins Wasser entlässt. Neopilina ist getrennt geschlechtlich, man geht davon aus, dass die Befruchtung äußerlich stattfindet.

Das Nervensystem von Neopilina mutet ebenfalls sehr urtümlich an. Seitlich verlaufen jeweils zwei Nervenbahnen, ein Pleuralnerv (Mantelnerv) und ein Pedalnerv (Fußnerv), die jeweils am Hinterende des Tieres verschmelzen, so dass ein geschlossener Nervenring entsteht. Untereinander sind die beiden Hauptnerven durch Querverbindungen (Konnektive) verbunden, so dass der Eindruck eines Strickleiter-Nervensystems entsteht, wie es für Gliederfüßer (Arthropoda) typisch ist. Nervenknoten (Ganglien) fehlen Neopilina.

 

Schema der inneren Organisation von Neopilina.
Gelb: Nervensystem; Orange: Exkretionsorgane;
Rot: Herz und Kiemen; Dunkelrot: Muskulatur.
Quelle: Biodidac, weitere Bearbeitung: R. Nordsieck.

Zusammenfassend weist Neopilina sowohl hoch entwickelte, als auch urtümliche Merkmale auf.


Geologische Zeitalter (Zeittafel).
 

Nach Lemches Veröffentlichungen von 1957 ging die Fachwelt allgemein davon aus, das fehlende Urweichtier gefunden zu haben. Dagegen spricht vor allem die deutliche Conchiferen-Schale, so dass man heute davon ausgeht, dass die übrigen Conchiferen und die Klasse Tryblidia mit Neopilina und ihren ansonsten im Kambrium ausgestorbenen Verwandten von gemeinsamen Vorfahren abstammen.

Die Tryblidia haben sich von der Entwicklungslinie frühzeitig abgespalten, was die Kombination von Conchiferen-Merkmalen und Merkmalen altertümlicher Weichtiere erklären würde. Die Anneliden ähnlichen Merkmale dieser urtümlichen Weichtiere (das strickleiterartig aufgebaute Nervensystem und die serial angeordneten Nephridien), hält man heute für abgeleitete, also neu entstandene Merkmale.

Heute werden unter der Klassenbezeichnung Tryblidia etwa 20 rezente Arten zusammen gefasst, die zur einer rezenten Ordnung Tryblidiida mit zwei rezenten Familien Neopilinidae und Micropilinidae gehören. Die früher gebräuchliche Bezeichnung Monoplacophora umschreibt nur einen Teil der Klasse.