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Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia)

Lage der Kiemen

 
Bullina lineata vom Lady Jane Reef, NSW, Au-
stralien. Bild: Richard Ling (Quelle).

Opisthobranchia oder Hinterkiemer sind die dritte große Gruppe der Schnecken, neben den Vorderkiemerschnecken und den Lungenschnecken. Hinterkiemer zeichnen sich dadurch aus, dass sich ihre Kieme hinter dem Herzen befindet, anders als bei den Vorderkiemerschnecken und den Lungenschnecken, bei denen die Atemorgane sich noch vor dem Herzen befinden.

Wenn man davon ausgeht, dass die Mantelhöhle der frühen Schnecken (entstanden aus einer ringsum laufenden Mantelrinne mit zahlreichen Kiemenfilamenten) im hinteren Bereich des Körpers lag, so ist die vorne liegende Mantelhöhle der so genannten Vorderkiemer durch einen Vorgang entstanden, der Torsion genannt wird und die Drehung des Eingeweidesacks um 180 Grad nach links bezeichnet (infolge dessen entstand auch die spiralige Windung des Eingeweidesackes und der Schale aus Platzgründen). Bei den Hinterkiemern wiederum hat sich der Vorgang der Torsion zurück entwickelt und nach einer erneuten Drehung nach rechts (Detorsion) befindet sich die Kieme nun auf der rechten Seite (wie z.B. bei den Flankenkiemern ('Notaspidea'), die es als systematische Gruppe heute nicht mehr gibt) oder hinten, auf alle Fälle aber hinter dem Herzen.

Bei den Nacktkiemern (Nudibranchia) schließlich sind Mantelhöhle und Kieme zurück gebildet und die Schnecke atmet über sekundäre Kiemen in Gestalt von Kiemenbüscheln am Fußende.

Rhinophoren


Rhinophoren (darunter die Augen) eines Seehasen
(Aplysia dactylomela). Bild: Scott Muzlie (Quelle).
 

Das eine Fühlerpaar der Hinterkiemerschnecken, das sie nicht einziehen können, befindet sich, sofern vorhanden, in der Nähe des Mundes. Darüber befinden sich in vielen Gruppen die Rhinophoren. Diese fühlerähnlichen, chemosensorischen Organe dienen, außer zum Tasten, vor allem der Geruchsorientierung (daher der Name Rhinophore, wörtlich "Nasenträger"). Seehasen (Aplysia) haben ihren Namen daher, dass ihre Rhinophoren wie Hasenohren aussehen.

Die Rhinophoren sind hoch entwickelt und können bei manchen Arten sogar in eine besondere Tasche eingezogen werden. Ihre Oberfläche im Inneren ist stark vergrößert und mit Sinneszellen und Wimpern (Cilien) besetzt. Manche Hinterkiemerschnecken senden auch Pheromone aus, die mit den Rhinophoren wahrgenommen werden.

Die eigentlichen Fühler dienen, außer als Tastorgane, der Wahrnehmung von Geschmacksinformationen, erfüllen also eine ähnliche Aufgabe, wie bei den Landschnecken die Lippen. Besonders auffällig ist dies bei manchen räuberischen Gruppen. Diese haben oft zusätzliche Mundtentakel, die es ihnen ermöglichen, ihre Beute entlang deren Schleimspur zu verfolgen (siehe z.B. Kopfschildschnecken, Cephalaspidea).

  Cummins, S. F.; Erpenbeck, D.; Zou, Z.; Claudianos, C.; Moroz, L. L.; Nagle, G. T.; Degnan, B. M. (2009): "Candidate chemoreceptor subfamilies differentially expressed in the chemosensory organs of the mollusc Aplysia". BMC Biology 2009, 7:28 (Link).

Fortpflanzung

 
Veliger-Larve von Aeolidiella stephaniae.
Quelle: Kristof, Klussmann-Kolb (2005).

Hinterkiemer sind Zwitter, ebenso, wie die Lungenschnecken. Sie führen im Allgemeinen eine wechselseitige Begattung durch und legen Eier. Die Larvalentwicklung läuft über ein planktontisches Veliger-Larvenstadium ab.

Bild rechts: Veliger-Larve des Nacktkiemers Aeolidiella stephaniae. Größenangabe: 100 µm. v: Velum (Segel); cil: Cilien; mp: Metapodium (Fußende); o: Operculum (!); s: Schale.

Im Bild rechts ist gut zu erkennen, dass das Veliger-Larvenstadium der Nacktkiemer zeitweilig noch einen Schalendeckel (Operculum) besitzt, der bei ausgewachsenen Hinterkiemerschnecken grundsätzlich zurück gebildet ist. Veliger-Larven besitzen auch noch eine Schale, die entweder im Verlauf des Veliger-Stadiums abgeworfen wird (Flügelschnecken, 'Pteropoda') oder während der Metamorphose zurück gebildet wird.

  Kristof, A.; Klussmann-Kolb, A. (2010): "Neuromuscular development of Aeolidiella stephanieae Valdéz, 2005 (Mollusca, Gastropoda, Nudibranchia)". Frontiers in Zoology 7: 5. (Link).

In manchen Gruppen können auch Paarungsketten vorkommen. Bei den Seehasen (Aplysiidae) ist dies beispielsweise bei hoher Populationsdichte öfter der Fall. Eine Schnecke fungiert ausschließlich als Weibchen , eine nur als Männchen und alle Schnecken dazwischen sowohl als Männchen, als auch als Weibchen. Viele Hinterkiemer zeigen ein kompliziertes Paarungsverhalten, das bei manchen Meeresnacktschnecken fast tanzartig anmuten kann.

Reduktion der Schale

Zugunsten einer größeren Beweglichkeit zeigt ein großer Teil der Hinterkiemerschnecken eine mehr oder minder starke Reduktion der Schale. Diese kann dünnwandig und blasenförmig sein, zu einem Schalenrest reduziert sein, der vom Mantel bedeckt wird, oder sogar ganz fehlen.


Blasenschnecke (Bulla ampliata) von der Insel Moorea, Franzö-
sisch Polynesien. Bild: Gustav Paulay (CalPhotos).
 

Zu den Schalen tragenden Hinterkiemerschnecken gehören zum Beispiel die Blasenschnecken (Bullidae), nicht zu verwechseln mit den süßwasserlebenden Blasenschnecken (Physidae). Die meereslebenden Blasenschnecken hingegen gehören zu den Kopfschildschnecken (Cephalaspidea). Mit ihrem dünnschaligen Gehäuse erinnern sie an landlebende Glasschnecken (Vitrinidae) und wie bei diesen gibt es bei den Kopfschildschnecken auch äußerlich schalenlose Formen und alle Übergänge.

Farbenvielfalt der Meeresnacktschnecken

 
Nacktkiemer Chromodoris collingwoodi, aus New South Wales
(Australien). Bild: Doug Anderson (Quelle).

Zu den Meeresnacktschnecken gehören auch die farbenfrohen Formen der Nacktkiemer (Nudibranchia), deren bunte Vielfalt Taucher immer wieder in Erstaunen versetzt. Nacktkiemer können zwar, wie alle Schnecken, selbst keine Farben sehen. Zahlreiche Meeresnacktschnecken besitzen aber Abwehr- oder sogar Giftstoffe, die meist mit der Nahrung (z. B. Blaualgen, Cyanobacteria) aufgenommen werden. Vor diesem Hintergrund ist die bunte Farbe der Meeresnacktschnecken als Warnkleid zu verstehen, das verhindert, dass die Schnecken von Fischen gefressen werden. Ungiftige Arten profitieren davon, da der Fisch nicht wissen kann, ob es sich um eine giftige oder eine ungiftige Art handelt, wenn sie ein Warnkleid trägt.

Bill Rudman: Defensive colour in sea slugs.

Manche Meeresnacktschnecken können aber auch Tarnfarben tragen, die sie vor dem Hintergrund ihres Lebensraums fast verschwinden lassen, oder Fressfeinde durch plötzlich auftauchende Farben oder sogar Licht (Biolumineszenz) verwirren. Keineswegs alle Meeresnacktschnecken sind Nacktkiemer; Nacktschneckenformen gibt es vielmehr in mehreren unterschiedlichen Gruppen der Hinterkiemerschnecken, und sogar in manchen Gruppen, die keine Hinterkiemer sind.

Ernährung

Die Ernährung der Hinterkiemerschnecken ist äußerst vielfältig. Manche Pflanzen fressenden Arten machen sich chemische Eigenschaften von Algen zunutze, die sie oft nur als Aufwuchs der eigentlichen Nahrung 'mit essen'. Ein großer Teil der Hinterkiemerschnecken lebt räuberisch (wie überhaupt ein großer Anteil der Meeresschnecken). Nacktkiemer (Nudibranchia) beispielsweise fressen (je nach Art) Quallen, Meereswürmer, andere Weichtiere und sogar andere Nacktkiemer. Sehr interessant ist auch die Ernährungsweise der Schlundsackschnecken (Sacoglossa). Sie saugen Pflanzenzellen aus (und viele Arten können sogar die Photosynthese der Chloroplasten für ihre eigene Ernährung nutzen). Ihre Radula ist auf eine Zahnreihe reduziert und viele Arten besitzen keinen Oberkiefer. Die erstaunliche Löwenkopfschnecke (Melibe leonina), eine Nacktkiemer-Art von der amerikanischen Westküste, besitzt gar keine Radula mehr. Ihre Mundöffnung ist zu einer großen Haube mit am Rand stehenden Tentakeln erweitert, so dass die Schnecke wie eine Venusfliegenfalle kleinere Meerestiere fangen kann.

See-Engel und Seeschmetterling


Links: See-Engel (Clione limacina). Rechts: Seeschmetterling (Limacina helicina).
Bilder: Russ Hopcroft (Arctic Ocean Diversity)
 

Ein Räuber-Beute-Paar aus der Welt der Hinterkiemerschnecken sind die Flügelschnecken: Der Seeschmetterling (Limacina helicina) und der See-Engel (Clione limacina). Außer ihrem sehr ähnlichen systematischen Namen sind beide pelagisch (also im offenen Meer) lebende Schnecken, die sich mit ihren Parapodien, seitlichen flossenartigen Auswüchsen des Fußes, durchs Wasser "fliegend" fortbewegen.

Während Limacina aber noch eine durchsichtige Schale besitzt und mit einem Schleimnetz das Wasser nach Plankton durchfiltert, hat der See-Engel, der seinen Namen den engelhaften Parapodien verdankt, gar keine eigene Schale mehr. Und - wenig engelhaft - macht er Jagd auf Seeschmetterlinge.

Nur wenig äußerliche Ähnlichkeit scheint den feenhaften See-Engel mit einer landlebenden Schnecke zu verbinden.

Feinde

Ähnlich wie die landlebenden Schnecken sind auch die meereslebenden Hinterkiemer ein wichtiger Bestandteil der Nahrungskette. Zu den Meerestieren, die Hinterkiemer fressen, gehören zahlreiche Fische, außerdem Asselspinnen (Pantopoda, z. B. Pycnogonidae), Seesterne, Krabben und Vögel. Die Verteidigungsmechanismen, die viele Meeresnacktschnecken so wirksam schützen, erreichen meist erst beim ausgewachsenen Tier die volle Wirksamkeit. Besonders Jungtiere stellen daher eine willkommene Beute dar. Nicht zuletzt die wichtigsten Fressfeinde zahlreicher Meeresnacktschnecken sind ausgerechnet andere Meeresnacktschnecken, wie z.B. Kopfschildschnecken (Cephalaspidea) oder Nacktkiemer (Nudibranchia). Gerade da kann jedoch sehr schnell der Räuber zur Beute werden.

Bill Rudman: What eats sea slugs? auf seaslugforum.net.

Systematik

 

Hinterkiemer (Opisthobranchia)

  Lt. Bouchet et al. (2005).
  • Cephalaspidea (Kopfschildschnecken)
  • Thecosomata
    • Seeschmetterlinge (Limacinidae)
  • Gymnosomata
    • See-Engel (Clionidae)
  • Aplysiomorpha
    • Seehasen (Aplysiidae)
  • Acochlidiacea
  • Sacoglossa (Schlundsackschnecken)
  • Cylindrobullida
  • Umbraculida
  • Nudipleura
    • Nacktkiemer (Nudibranchia)
 

Taxonomie der Gastropoda: Opisthobranchia.

Wegen ihrer dünnwandigen Schale, wenn denn überhaupt eine vorhanden ist, geben Hinterkiemerschnecken keine besonders guten Fossilien ab. Aber dennoch sind sie schon seit dem Karbon vor 290 - 360 Mio. Jahren (vgl. Erdzeitalter) bekannt.

Die Systematik der Opisthobranchia bleibt weiterhin eine Streitfrage. Ursprünglich wurde, wie heute noch in vielen alten oder veralteten Lehrbüchern zu finden ist, die Unterteilung in Vorderkiemer (Prosobranchia), Lungenschnecken (Pulmonata) und Hinterkiemer (Opisthobranchia) vorgenommen oder nach der durch die Torsion bedingten Form des Nervensystems in Gekreuztnervige Schnecken (Streptoneura - Prosobranchia) und in Geradnervige Schnecken (Euthyneura - Pulmonata und Opisthobranchia) vorgenommen. Schon seit mittlerweile fast 30 Jahren ist aber, besonders nach der Entdeckung neuer Schneckengruppen an unterseeischen heißen Quellen (Hot Vents), klar, dass die Systematik der Schnecken so einfach und eindeutig nicht ist:

Die Vorderkiemerschnecken müssen in mehreren getrennten Gruppen den Lungenschnecken und Hinterkiemerschnecken gegenüber gestellt werden, die als Heterobranchia zusammen gefasst werden.


Verwandtschaft innerhalb der Hinterkiemer
(Opisthobranchia) und Lungenschnecken (Pul-
monata). Bild: Robert Nordsieck.
Nach: Jörger et al. (2010).
 
  Haszprunar, G. (1985): "The Heterobranchia – a new concept of the phylogeny of the higher Gastropoda". Z. f. zool. Systematik u. Evolutionsforschung, Bd. 23 H. 1: 15 - 37.

Unklar blieb aber bisher, ob die Lungenschnecken vielleicht aus Vorfahren im Bereich der Hinterkiemerschnecken entstanden sind, oder, wie es wahrscheinlicher scheint, aus unterschiedlichen Vorfahren im Bereich der Vorderkiemer und der Hinterkiemer auf unterschiedlichen Wegen. Daher bleiben auch in der modernen Systematik nach Bouchet, Rocroi et al. (2005) beide Gruppen, Opisthobranchia und Pulmonata, eine so genannte informelle Gruppe.

Inzwischen konnte aber erforscht (und 2010 veröffentlicht) werden, dass die Gruppe der Acochlidia (oder Acochlidiacea lt. Bouchet et al.) in Verwandtschaft zu den Lungenschnecken steht. Diese Gruppe der Hinterkiemerschnecken umfasst neben meereslebenden Arten amphibische, brackwasser- und süßwasserlebende Formen. Nach den Ergebnissen der Untersuchungen von Jörger et al. (2010) sind die Acochlidia mit den eigentlichen Lungenschnecken (Klade Eupulmonata), u. a. Landlungenschnecken (Stylommatophora) und Küstenschnecken (Ellobioidea), näher verwandt, als diese mit den Wasserlungenschnecken (Basommatophora, z.B. Posthornschnecken und Schlammschnecken).

Das würde dafür sprechen, dass sich Land- und Wasserlungenschnecken zu unterschiedlichen Zeiten aus gemeinsamen Vorfahren mit den heutigen Hinterkiemern entwickelt haben, und dass sowohl Pulmonata, als auch Opisthobranchia paraphyletische Gruppen sind, bei denen Nachkommen des gemeinsamen Vorfahren fehlen.

  Jörger, K. M.; Stöger, I.; Kano, Y.; Fukuda, H.; Knebelsberger, T.; Schrödl, M. (2010): "On the origin of Acochlidia and other enigmatic euthyneuran gastropods, with implications for the systematics of Heterobranchia". BMC Evolutionary Biology 10: 323 (Link).

Weiterführende Informationen

Kopfschildschnecken (Cephalaspidea).
Seeschmetterlinge und See-Engel (Thecosomata und Gymnosomata).
Breitfußschnecken oder Seehasen (Aplysiomorpha).
Schlundsackschnecken (Sacoglossa).
Nacktkiemer (Nudibranchia)

Literatur

  Wägele, H.; Klussmann-Kolb, A. (2005): "Opisthobranchia (Mollusca, Gastropoda) – more than just slimy slugs. Shell reduction and its implications on defence and foraging". - Frontiers in Zoology 2005, 2:3. (Link)

Links

 

Dr. Bill Rudman: http://www.seaslugforum.net - Meeresnacktschnecken-Forum des Australian Museum, nicht nur über schalenlose Meeresschnecken.